• 02. Apr 2018 21:28
  • Was ich schon zu und wieder abgenommen habe..... beim ersten Antidepressivum vor knapp 20 Jahren waren es etwa 30 Kilo. Mühevoll im Laufe der Zeit wieder abgespeckt und erneut zugenommen. 12 Kilo unter Lithium, 8 Kilo in zwei Wochen unter Zyprexa, und so weiter....

    Die behandelnden Ärzte sind nicht immer sehr einfühlsam und weisen einem als Patienten die Verantwortung an der Zunahme zu. "Das Medikament hat keine Kalorien, das liegt schon an Ihrem Essverhalten!" - Dieser Satz klingt mir noch heute in den Ohren.

    Hier besteht noch großer Bedarf, dass die Mediziner psychologisch besser mit dem Thema Gewichtszunahme umgehen. Denn wenig andere Nebenwirkungen beeinträchtigen die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt mehr.

    Ich erzähle euch hier von meinem eigenmächtigen Absetzversuch aller Psychopharmaka und wie es geendet hat. Es soll als warnendes Beispiel dienen, nicht denselben Fehler zu begehen.

    Ich hatte es so satt.... ich meinte die Medikamente nicht mehr zu benötigen, mir ging es doch gut. Aber schon wieder kniffen die neuen Hosen und ich fühlte mich in meiner Haut angesichts der Leibesfülle nicht mehr wohl. Abgesehen davon lief es gut. Ich arbeitete als Erzieherin in einer heilpädagogischen Einrichtung und hatte dort tolle Kolleginnen und fühlte mich sehr wohl.
    Mein behandelnder Arzt hatte mir seit jeher immer wieder klar gemacht, ich würde in Anbetracht der schwere meiner Erkrankung lebenslang Medikamente einnehmen müssen. Irgendwie hatte ich das aber in der letzten Zeit angezweifelt, fühlte mich stabil. Wusste aber auch, dass der Arzt nicht mit sich reden lassen würde.
    Ich vertrug meine Medikamente an sich gut, vier Stück an der Zahl, doch die lästigen Gewichtsprobleme....

    "Ich bin ja nicht dumm", dachte ich mir. "Ich gehe es professionell an." Mir war klar, dass man seine Psychopharmaka nicht von heute auf morgen alle plötzlich absetzen kann. Also begann ich ganz langsam die Dosis nacheinander zu reduzieren.

    Beim Arzt hatte ich nur alle drei bis vier Monate einen Termin, ich startete meinen eigenmächtigen Absetzversuch irgendwo dazwischen und verringerte von Woche zu Woche die Dosis. Zunächst setzte ich das Medikament ab, das ich insbesondere für die Gewichtszunahme verantwortlich machte.
    Alles schien wunderbar zu klappen, es ging mir weiterhin gut. Also begann ich auch damit, die anderen Medikamente zu reduzieren.
    Ich bekam einen richtigen Energieschub und auch die Pfunde begannen zu purzeln! Ich hatte plötzlich die Idee, eine Weiterbildung zur Heilpädagogin in Angriff zu nehmen und bewarb mich sofort an der entsprechenden Fachakademie.
    Ich war einfach rundum glücklich und glaubte mein Leben voll im Griff zu haben.
    Was mir nicht aufgefallen war, zumindest nicht negativ, dass ich mit immer weniger Schlaf auskam und - rückblickend erkenne ich das klar - meine Wahrnehmen sich zu verschieben begann.
    Dinge von vergleichsweise geringer Tragik lösten bei mir größtes Misstrauen und größte Wut gegenüber meinem Ehemann aus, ich wollte mich sogar von ihm trennen.
    Ich bekam eine immense innere Unruhe und musste sehr häufig starke Beruhigungsmittel einnehmen. Inzwischen nahm ich nur noch ein einziges Medikament regelmäßig ein. Mein Zustand geballter Energie verwandelte sich immer mehr hin zu einem Nervenbündel, ein Schatten meiner Selbst.
    Ganz schlagartig wurde mir klar, dass ich dringend ärztliche Hilfe benötigte. Doch als ich um Aufnahme in unserer psychiatrischen Klinik bat unter dem Hinweis, dass ich meine Medikamente abgesetzt hätte, wurde ich weiter geschickt.

    Der Arzt war wohl ob dieses Umstandes etwas angepisst und wollte mich nicht stationär aufnehmen. Es folgte eine Odyssee durch verschiedene Ambulanzen und Kliniken, bis ich letzten Endes andernorts stationär aufgenommen wurde, sogar auf einer geschlossenen Station!

    Langsam wurden die Medikamente wieder hochdosiert. Man testete eine Alternative, von der ich nicht so zunehmen würde, doch dieses neue Medikament hatte ich leider nicht gut vertragen. So landete ich letztlich wieder bei den "alten". Die 6 Kilo, die ich während dieser Zeit abgenommen hatte, wuchsen leider bald wieder an.
    Aber dafür ging es mir wieder besser. Ich hatte wieder einen klaren Blick, konnte meine Beziehung retten und mir wurde klar, dass es keine gute Idee war mit der Heilpädagigin. Ich war in eine Art manischen Zustand geraten und meine Kräfte völlig unrealistisch eingeschätzt.

    Nach diesem Erlebnis ist mir eines klar geworden: lieber ein paar Kilo mehr als dieses emotionale Chaos, diese Horrorshow die ich durchlitten hatte!
    Das muss nicht heißen, dass ich jedes Medikament völlig unreflektiert einnehme. Ich bin eine mündige Patientin und nehme mir sehr wohl die Freiheit, ABER IN ÜBEREINSTIMMUNG MIT DER ÄRZTIN, auch einmal ein Medikament nicht mehr weiter einzunehmen.
    Den Versuch mit Lithium beendeten wir nach einem halben Jahr wieder einvernehmlich. 12 Kilo mehr und keinerlei gesundheitlicher Profit, eher im Gegenteil.... das muss man nicht hinnehmen.
    Aber um keinen Preis der Welt mehr würde ich eigenmächtig die Einnahme irgend eines Medikamentes abbrechen, von dem ich zunehme.
    Darum bitte ich auch jeden meiner Leser eindringlich!